Lipödem – ein empfehlenswertes Buch

Lipödem – Ich bin mehr als meine Beine. Isabel Garcia,
Trias Verlag. 288 Seiten, 2018.

Neuer Ratgeber der mehr ist als ein Rat geber.

Isabel Garcia hat für Frauen geschrieben, die oft jahrelang durch unser Gesundheitssystem wandern, ohne echte Hilfe zu bekommen und die häufig eine jahrelange Odyssee hinter sich haben und viele Beleidigungen über sich ergehen lassen müssen, bis sie Hilfe bekommen. Frau Garcia, die beruflich Autorin, Vortragsrednerin und Trainerin ist, hat ein Buch geschrieben über Lipödem, das weder ein reines Betroffenenbuch noch ein trockener Medizinratgeber ist, sondern gekonnt beide Welten miteinander vereint. Das Buch ist daher sowohl für Laien gedacht, bietet aber auch Fachkräften an der ein oder anderen Stelle noch Fachinformationen, die für die tägliche Arbeit mit Betroffenen nützlich sind.

Ziel des Buches

Wie sie selbst sagt: Sie will Betroffenen Mut machen, besser mit ihrer Erkrankung umzugehen, dadurch, dass sie ihre eigene „Reise“ erzählt. Und es geht ihr darum, viele Fragen, die Betroffene zum Lipödem haben zu beantworten und darüber hinaus viele wichtige Hinweise, Anregungen und Hilfestellungen zu geben, die den Alltag mit Lipödem erleichtern und mehr Klarheit in dieses komplexe Thema bringen.

Dazu interviewt Frau Garcia viele Ärzte, lässt Betroffene zu Wort kommen, spricht mit anderen Experten und erzählt schonungslos und offen ihre eigene 48-jährige Geschichte, lässt also Blicke „hinter die Kulissen“ zu.  Und genau diese Einblicke decken sich mit meinen eigenen jahrzehntelangen Erfahrungen als Ernährungstherapeutin. Ich betreue sowohl adipöse Frauen, als auch Frauen mit Lipödem und Frauen, die beide Erkrankungen haben. Der Leidensweg, den Frau Garcia zeichnet ist ein klassischer. Endlich weiß ich, was ich meinen Patientinnen für ein Buch, das lesbar und verständlich ist, empfehlen kann und ich möchte Frau Garcia ihre Bedenken nehmen: Sie können ganz beruhigt sein. Ihre Offenheit tut ihrem Image keinen Abbruch. Im Gegenteil! Ihr Buch ist es wert gelesen zu werden. Danke für Ihren Mut.

Und darum geht es

  • Was ist ein Lipödem, ist eine Frage, die Frau Garcia beantwortet. Um zu verdeutlichen, wie mir ein Lipödem auffällt mache ich folgenden Test:   Wenn ich nur den Oberkörper der betroffenen Frauen betrachte, dann sehe ich ein schmales Gesicht und einen schlanken Oberkörper.  Wenn ich nur die Beine betrachte, dann fällt auf, dass diese viel fülliger sind und „irgendwie nicht so recht zum schlanken Oberkörper passen. Um genau das ist es: Eine atypische, symmetrische Anhäufung von Fett an den Beinen (und Armen), ohne dass Füße und Hände betroffen sind.  Und damit ist schnell klar: Frauen mit Lipödem sind nicht zwingend übergewichtig! Sie können es sein, müssen aber nicht.
  • Dieses Buch ist für Frauen geschrieben, die noch nicht wissen, ob sie betroffen sind oder nicht und die sich, egal ob übergewichtig, oder nicht auch in jeder ernährungstherapeutischen Praxis finden. Sie finden sich zu dick und wollen an den Beinen abnehmen und endlich einen Weg finden der „funktioniert“.  Die Frauen haben meist unzählige Diätversuche hinter sich, viele leiden bereits unter einer Essstörung, wie Frau Garcia.
  • Sie suchen einen Weg, der sie von Ihrem Leiden befreit und ihnen endlich schlanke Beine schenkt. Leid ist das richtige Wort, denn diese unfassbar disziplinierten und Ziel orientierten Frauen, jahrelang Diät und Sport erprobt, wahre Expertinnen in Ernährungsfragen: Sie leiden, weil Sie dem heutigen Schönheitsideal nicht entsprechen. Und genauso fühlen sich diese Frauen auch. „Diese Beine mit all den Dellen und viel zu üppig, gehören nicht zu mir“ sagt Frau Garcia. Der Leidensdruck ist enorm.
  • Üppige Beine und schlanker Oberkörper

  • Schmerzen, Missempfindungen oder Berührungsempfindlichkeit in den Beinen

  • Häufig blaue Flecken

Das sind die Leitsymptome dieser Erkrankung, um die es in Garcia´s 288 Seiten starken Buch, bestehend aus 3 Teilen geht.

Kapitel 1. Lipödem? Was ist das?

In diesem Kapitel schildert Garcia ihre eigene Geschichte, schreibt auch über ihre Essstörung und über emotionales Essen. Danach sucht sie mit Hilfe von Experten Antworten auf Fragen wie: Was ist Lipödem und was ist es nicht? Hängt Lipödem mit Adipositas zusammen? Sie geht dem Schmerzphänomen auf den Grund und spricht über das Schönheitsideal und darüber, dass Diäten den Stein erst ins Rollen bringen und jede krasse Diät betroffene Frauen noch mehr in einen Teufelskreis bringen, denn: Sie nehmen ab, wo sie nicht wollen und nehmen dort zu, wo die Veranlagung zur Fetteinlagerung ist, an den Beinen.

Kapitel 2. Meine Selbsthilfe-Strategien

 

Hier nimmt uns Frau Garcia mit auf Ihre Reise nach Lösungen und spricht über Bewegung und Sport, über die Diätfalle und geeignete Ernährungsformen, über Selbsthilfegruppen und mentale Unterstützung. Sie beleuchtet Liposuktion als letzte Maßnahme, Bariatrie und nicht zuletzt: Selbstakzeptanz.

 

Serviceteil

 

Am Ende des Buches schreibt sie ein Fazit und gibt Adressen weiter, die ihr als wichtige Anlaufstellen gute Dienste erwiesen. Ich möchte ein paar Sätze herauspicken:

  • Sie sind keine Frau mit Lipödem. Sie sind eine Frau! Sie sind keine Lipödem Kämpferin. Sie sind eine schöne Frau.
  • Das Leben darf auch leicht sein. Streichen Sie ab und an mal das Wort Lipödem aus ihrem Wortschatz.

Und Isabell Garcia bedankt sich bei ihren Helfern dafür, dass sie ihr geholfen haben, Licht ins Lipödem-Chaos zu bringen. Sie bedankt sich auch dafür, dass sie das Wertvollste bekam, was Helfer ihr geben konnten: ZEIT, Herzenswärme, Empathie und Humor.

 

Wehrmutstropfen

 

Ein kleiner Wehrmutstropfen bleibt für mich als von den Krankenkassen anerkannte Ernährungstherapeutin, deren Dienstleistung anteilig von den Krankenkassen bezuschusst wird.  Irgendwo im Buch plädiert Garcia dafür, dass Ernährungstherapie von den Krankenkassen bezahlt werden müsste, denn es handele sich um eine Erkrankung, die nachweislich eine sinnvolle Ernährungsführung benötigt, um auf jeden Fall das dauernde auf und ab des Gewichts zu durchbrechen. Doch danach erwähnt sie weder im Text, noch in den Anlaufstellen unsere Berufsgruppe. Expertenrat über Ernährung holt sie sich von Ärzten und Personal Trainern. Das ist sehr, sehr schade, denn:

  1. Wir Ernährungstherapeuten haben Zeit. Zeit zuzuhören, Zeit für ein genaues Assessment und Zeit, um professionell zu begleiten.
  2.  Wir sind Fachexperten, die nicht nur eine „gesunde, basische, ayurvedische etc. Ernährung“ ins Zentrum rücken, sondern Menschen mit ernährungsbedingten Erkrankungen. Wir sind medizinisch, ernährungswissenschaftlich, pädagogisch und psychologisch geschult. Durch gezielte Interventionen analysieren wir nicht nur das gesamte Ess- und Ernährungsverhalten (nicht nur die Lebensmittelauswahl ist entscheidend!), sondern begleiten ganz individuell genau dort wo Wissen und Wollen nicht ausreichen, das eigene Verhalten zu modifizieren. Insbesondere das von Garcia angesprochene „emotionale Essen“ ist eine Sache für sich und braucht professionelle Begleitung.
  3.  Das was Frau Garcia beim Therapeuten sucht, wäre auch bei uns als „Psychoedukation“ zu bekommen, denn wir meinen: Nicht alle Frauen mit Lipödem sind depressiv. Bei Vielen hilft Psychoedukation schon aus um zu verstehen, was da is(s)t. Viele professionelle Kollegen sind bereits pädagogisch und ernährungspsychologisch ausgebildet und können auch bei diesen Fragestellungen wirkungsvoll begleiten.Doch ich vermute: Frau Garcia ist in ihren 48 Jahren noch keiner Ernährungstherapeutin begegnet und kennt vermutlich unsere Berufsgruppe nicht. So wie ihr geht es auch vielen anderen Patienten. Man weiß nicht, wo und wie man eine zertifizierte Ernährungsfachkraft findet. Viele glauben, dass Ernährungsberatung und Ernährungstherapie mit Wissensvermittlung und Befolgen von Ratschlägen, mit Listen und Verboten zu tun hat, doch das ist nicht der Fall! Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe und genau dort wirkungsvolle Unterstützung wo Wissen und Wollen nicht ausreichen, um dauerhaft erfolgreich sein Ess- und Ernährungsverhalten umzustellen. Wahrscheinlich genau das, was auch Frau Garcia in vielen Jahren gesucht, aber nicht gefunden hat.

 

Fazit

 

Ein sehr empfehlenswertes Buch für Ernährungstherapeuten, Ärzte die sich mit dem Thema noch nicht wirklich gut auskennen, für Ärzte, die nicht wissen, wie sie Frauen darauf ansprechen sollen, für Physiotherapeuten um „hinter die Kulissen zu schauen“ und last but not least für all die wunderbaren, einzigartigen, betroffene Frauen mit Lipödem, die ein wenig Ermutigung brauchen und besser verstehen wollen was Lipödem ist und was man tun kann um besser damit umzugehen.

Sonja M. Mannhardt, Dipl. oec.troph. Praxis für psychologische Ernährungstherapie &
Prof.eat eating ESSperts www.profeat-essperts.de
www.gleichgewicht4you.de

Hier finden Sie zertifizierte und von den Krankenkassen anerkannte Ernährungsexperten, deren Leistung anteilig bezuschusst wird und die sich mit Lipödem und emotionalem essen auskennen.
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