Demenz – (K)ein Thema für Ernährungsberatung?

DSC03221„Ich habe keinen Durst“; „Ich will nichts trinken“, „Das schmeckt mir nicht,“ „Die will mich vergiften,“ „Opa, jetzt bleib doch mal sitzen beim Essen,“ „Wieso wirfst du alles auf den Boden?“, „Iss doch mit dem Besteck“, „Wieso läuft der Oma alles aus dem Mund?“, „Warum verschluckt sich Opa die ganze Zeit?“

Wer mit Demenzkranken Menschen zu tun hat kennt das: Die vielen Fragen, die Ohnmacht, die Verknüpfung von Nahrungsaufnahme mit starken Emotionen und sozialen Aspekten des Essens.

So geht es in der Ernährungsberatung nicht um die bloße Aufnahme von Nährstoffen, sondern um Essen als Totalphänomen an dem nicht nur die Betroffenen beteiligt sind, sondern auch ihre Angehörigen (Kinder und Enkel) und Pflegepersonal. In der Regel kommen besorgte oder vollkommen überlastete Angehörige in die Beratung, weil sie einfach nicht mehr wissen, was sie tun sollen.

Sollen Sie die Demenzkranken zwingen zu Essen und zu trinken, damit den Wünschen der Ärzte und der Pflege genüge getan wird, oder sollen sie eben nicht zwingen, aber riskieren, dass Oma oder Opa zu wenig trinken, essen oder an Gewicht zulegen?

Es wird viel geschrieben über „Die Ernährung bei Demenz“ – nur; was nützt das Alles bei den sehr individuellen, persönlichen Fragen? So wie es nicht DEN Menschen mit Demenz oder DIE Demenz-Ernährung gibt, so ist Ernährungsberatung von Angehörigen auch keine Anleitung für Pauschallösungen für Jedermann, sondern aufgrund der Komplexizität immer ein individueller Prozess.

  1. ANAMNESE: Was genau wird als problematisch angesehen?
  2. ErnährungsDIAGNOSTIK: Was hat das für wen für Auswirkungen/Folgen?
  3. INTERVENTION: Welche Maßnahmen können Abhilfe schaffen?
  4. MONITORING: Was haben die Interventionen bewirkt und wie entspannt ist die Ess-Situation nach der Beratung?

Suchen Sie mit Hilfe professioneller Ernährungstherapie Ihren je eigenen Ernährungsweg, damit es sowohl dem Betroffenen, als auch Ihnen als Angehörige besser geht und Essen wieder entspannt genossen werden kann.

 

Demenz-Deine Suppe esse ich nicht Teil II

DSC03221Viele nicken vielleicht, wenn sie den Satz lesen:“ Kind, Du musst doch etwas essen.“ Irgendwann können sich die Rollen (Eltern-Kind-Rolle) aber vertauschen. Weil man selbst damit erzogen wurde, wird diese angebliche Führsorge an die an Demenzerkrankten zurückgeben. Was für eine Bedeutung hat „Essen“ denn in unserem Leben?

Essen ist EMOTIONAL und sozial verortet


Zum Essen kommen Menschen zusammen, teilen das Brot, machen gemeinsam Rast, pflegen Gemeinschaft. Menschen sind nicht „bei einer gesunden, vernünftigen Ernährung und ihrer Gesundheit“, wenn sie gemeinsam speisen, sondern bei EINANDER, beim gemeinsamen ESSEN, in STIMMUNG.

Wie häufig erlebe ich es, dass Menschen mit Demenz alleine „abgefüttert“ werden, weil „ES unappetitlich“ ist? Wie häufig erlebe ich es, dass das einzig Soziale darin besteht, dass ein „zu Fütternder“ mit einem „Fütterer“ an einem Tisch sitzen und nichts weiter geschieht, als dass der „Fütterer“ wert darauf legt, dass gegessen und getrunken wird.

Wenn Menschen mit Demenz etwas noch sehr gut beherrschen, dann ist dies „unsichtbare Stimmungen, Schwingungen und Gefühle“ wahrzunehmen. „Du gehörst nicht mehr dazu“, „ich habe keine Zeit und nicht die Geduld“, „ich esse nichts aber du musst jetzt“, das spüren betroffene Menschen gewiss genau so nackt und deutlich, wie ein kleines Kind, welchem verwehrt wird, als respektiertes Mitglied einer Gemeinschaft, an einem gemeinsamen Tisch zu sitzen und gemeinsam ZEIT MITeinander zu verbringen. Wird ein solches Kind stattdessen im Hochstuhl „abgefüttert“, dann macht auch dieses Kind deutlich auf diesen unsozialen und emotional beLASTenden Zustand aufmerksam.

Das Recht auf SELBSTbestimmung und echte Zuwendung.

Betrachten wir den ersten Akt im Leben eines Menschen, ein selbstbestimmtes Wesen zu werden, dann sind wir sofort bei der Mutterbrust, also der Nahrungsaufnahme. Bereits dort ist diese ein soziales und emotionales Ereignis. Das Kind bestimmt, OB es Hunger hat, WANN es bereit ist zu essen und auch, WIE VIEL es zu sich nimmt. Wird dieses empfindliche Gefüge und dieser erste Akt der SelbstTÄTIGkeit und Selbstverantwortlichkeit gestört, wird leichter Druck oder Zwang ausgeübt, wird dem Kind die echte, ungestörte, liebevolle Zuwendung verwehrt, so wehrt sich auch schon ein Kind. Es hört auf zu essen, presst die Lippen zusammen, macht sich steif und überstreckt sich nach hinten, schreit, befördert mit der Zunge, alles, was zwanghaft in seinen Mund gelangt, wieder heraus. Etwas später schlägt es Löffel, die vor dem Mund stehen oder Lappen, die unsacht den Mund abwischen einfach weg. Wird dieses „gut gemeinte“ Spiel um Macht überzogen, verweigern selbst kleinste Kinder das Essen, oder scheuen sich nicht, das, was sie „zum kotzen“ finden auch in derselben Weise deutlich kund zu tun.

Könnte es sein, dass ein Teil der „Schwierigkeiten“ bei Tisch nicht mit dem Patient, sondern auf der Beziehungsebene zu suchen ist? Könnte es sein, dass „liebevolle Ratschläge“, liebevolles „zerkleinern“, liebevoll gemeintes „Helfen durch Füttern“, als Beschneidung der Selbstbestimmung empfunden wird? Könnte es sein, dass betroffenen Menschen, trotz ihrer Eingeschränktheit gefragt werden wollen, was sie selbst tun wollen und wobei sie Unterstützung wünschen? Kann es sein, dass es darum geht, Betroffene im Bereich „Nahrungsaufnahme“, dem ersten Ort der menschlichen Selbstbestimmung, besonders „empfindlich“ reagieren, wenn man diese letzte Domain der MIT- oder Selbstbestimmung, durch Überfürsorglichkeit beschneidet? Kann es sein, dass es Betroffenen nicht selten an echter Zuwendung fehlt und sie sich bei Mahlzeiten eine gewisse Aufmerksamkeit einfordern, um uns zu zeigen: „Ich bin noch da und ich habe eine Meinung. Beziehe mich so lange es geht in deine Entscheidungen ein. Ich bin noch da und verteidige die letzten Bastionen meiner Selbstbestimmung. Ich bin noch da, hilf mir, solange ich es kann Dinge SELBST zu tun. Ich bin noch da und trotz meiner Demenz ein erwachsener Mensch, der so lange es geht ein aufrechtes und selbstbestimmtes Leben führen möchte. Ich bin noch da und DEINE Angst, ich könne sterbe, wenn ich nicht esse oder trinke, ist nicht meine. Sprich mit mir über DICH und DEINE Gefühle, anstatt an meine Vernunft zu appellieren und du wirst sehen, ich komme dir gerne entgegen so gut ich kann und möchte.

WEBINAR Demenz. Aufgrund der sehr guten Rückmeldungen wird die Reihe fortgeführt. Ich freue mich über zahlreiche Anmeldungen.

https://www.edudip.com/webinar/DEMENZ.-Online-Unterst%C3%BCtzung-f%C3%BCr-Angeh%C3%B6rige/60394#description
webniar_voting

 

Weitere Informationen unter:

 

Essen ist mehr
https://www.wegweiser-demenz.de/385.html

Deine Suppe esse ich nicht – Appetitlosigkeit bei Demenz

DSC03218Wer Menschen mit demenziellen Erkrankungen betreut, mit der Versorgung betraut ist, der kommt nicht selten an seine Grenzen, weil „vernünftige Argumente“ hier mit ganz besonderer Vehemenz scheitern und nicht selten zu großer Anspannung bei allen Beteiligten führt. Hier in diesem Beitrag möchte ich ein wenig über den gängigen wissenschaftlichen Tellerrand blicken.

Ich stehe am Bett nebenan und beobachte folgende Szene. Eine Pflegerin ist damit beschäftigt, Frau X ihr Abendessen zu geben. Es ist 16.30 Uhr. Sie sagt: „So Frau X. wir müssen jetzt wieder etwas essen und etwas trinken. Schauen Sie mal, was es hier leckeres gibt.“ Sie hält ihr den Bissen vor den Mund und Frau X dreht den Kopf weg. „Frau X. ich mache mir wirklich langsam Sorgen um Sie. Sie müssen doch etwas essen! Und getrunken haben Sie auch den ganzen Morgen noch nicht. Machen Sie doch bitte den Mund auf, ich meine es doch nur gut.“ Frau X. schaut die Pflegerin an und schlägt ihr die Gabel, die vor ihrem Mund darauf wartet, aufgenommen zu werden, mit der linken, funktionierenden Hand einfach aus der Hand. „Frau X. ich habe nicht nur für Sie Zeit. Es warten noch andere Leute, auf mich.“ Nach 5 Minuten gibt die Pflegekraft auf und zieht davon. Das volle Tablett bleibt bei Frau X. stehen. Ähnliche Szenen kenne ich von meiner Mama. Sobald das Essen serviert ist, kommt der Satz wie aus der Pistole geschossen: „Ich esse aber nichts!“ und etwas später: „Also, ich will aber nichts.“

Die rationale Sicht – „Alles ist erklärbar?“
Wer den Alltag mit Demenz kranken Menschen kennt, dem dürften solche oder ähnliche Szenarien rund um die Nahrungsaufnahme nicht fremd sein. Essen und Trinken nimmt sehr häufig einen übergebührlich großen Raum ein, „weil Betroffene doch essen und trinken müssen“. So lautet eine der rationalen Begründungen, die sich durch eine Vielzahl weiterer Begründungen und Ursachenforschungen erweitern ließen. (Vertiefende Informationen finden Sie unter den am Ende des Textes aufgeführten Links)
Das kann so gesehen werden, doch ist damit erklärbar, weshalb ES (das Essen) bei einer anderen Pflegerin „kein Thema“ ist und auch bei meiner Mutter ein deutlich wahrnehmbarer Unterschied bestand, zwischen Mahlzeitensituationen an denen mein Vater beteiligt ist, oder ich? Und ist damit erklärbar, weshalb das Essensthema bei uns mittlerweile fast keines mehr ist, weil mittlerweile alle in unserer Familie diese „unverständliche Sprache“ des „Ich esse aber nichts!“ verstanden haben?

Essen ist mehr als ein Vernunftakt.
In diesem Artikel soll es nicht um die „rationalen“ Erklärungs- und Lösungsversuche gehen, sondern darum, ein „verborgenes“, „nicht sichtbares“ Phänomen zu entschlüsseln, wie eine Fremdsprache die man erst verstehen muss, um adäquat darauf zu reagieren.
Ich kenne dieses Phänomen sehr gut im Umgang mit Kleinstkindern, die an sogenannter „Fütterungsstörung“ oder „Essverweigerung“ leiden. Man erkennt erst, was ist, wenn wir uns von rationalen Erklärungsversuchen lösen und „Das GANZE“, also Essen, Mahlzeit und auch denjenigen, der füttert mit in die Betrachtung einbeziehen.
Wenn wir den Blick nicht mehr nur auf den Betroffenen selbst, seinen Körper, seinen Bedarf, seine Appetitlosigkeit, Befindlichkeit, Stimmung und seinen Nährstoffbedarf lenken, sondern Nahrungsaufnahme immer auch als soziales, emotionales Ereignis betrachten, dann erhalten wir ein vollkommen anderes Bild.
Manche Mahlzeiten sind schlicht und ergreifend einfach eine Zumutung.
Wie wusste es bereits der französische Dichter trefflich auszudrücken:

«Wenn ich gut gegessen habe, ist meine Seele stark und unerschütterlich;
daran kann auch der schwerste Schicksalsschlag nichts ändern.»
Jean Baptiste Molière (französischer Dichter)

Doch anstatt sich um „gutes Essen“ zu kümmern, sind die meisten modernen Menschen mittlerweile mit „gesunder Ernährung“ beschäftigt. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt, dem auch heute noch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Dieses Essen „spricht nicht an“. Hier wird zwar „ernährt“, auf Kalorien und Nährstoffe geachtet, eine gewisse Konsistenz berücksichtigt und einen Mahlzeitenrhythmus, doch seien wir mal ehrlich: Sowohl von der Darreichung, von der Farbgebung, vom Geschmack, von der SINNlichkeit sind diese Gerichte einfach eine einzige Katastrophe! Ein solches Gericht zu verzehren macht keinen Appetit und damit auch keinen Sinn, egal ob Hunger wahrgenommen wird, oder nicht.
Menschen mit Demenz wollen uns vielleicht manchmal mit ihrer Ablehnung folgendes sagen: „Ich habe mein ganzes Leben liebevoll gekocht, mir Mühe mit Mahlzeiten gegeben, gut für meine Liebsten gesorgt und jetzt bekomme ich solch einen Schweinefraß vorgesetzt und soll das auch noch genüsslich verspeisen? Diesen Gefallen mache ich Euch nicht!“
Doch das einzige Ausdrucksmittel, das sie haben, ist vielleicht ein Kopf wegdrehen, ein „Ich esse aber nichts.“, ein „zum kotzen“ oder eine angewiderte Mimik oder Handbewegung an den Tag zu legen, oder das ganze Tablett mit einer „ungeschickten“ Bewegung auf den Boden zu schmeißen.
Könnte es also sein, dass die „Ess- und Trinkverweigerung“ von Frau X. auch mit dem Verhalten der Pflegerin zu tun hat? Könnte eine nicht sichtbare Stimmung, die Art der Bindung, die Menschen zueinander haben, erklären, weshalb beispielsweise meine Mama bei ihrem Ehemann häufiger ein lautes „Nein“ von sich gibt, als bei mir, ihrer Tochter?

In einem weiteren Beitrag informiere ich über die emotionale und soziale Verortung des Essens sowie über das Recht auf Selbstbestimmung und echte Zuwendung.

Mein Angebot für Fachkräfte:
Seminare für Einrichtungen zu „Dementielle Essverweigerung verstehen und damit umgehen“

Mein Angebot für Angehörige:
ONLINE-Beratung. Ich schenke Ihnen Zeit und schenke Ihnen mein Ohr. Rufen Sie mich an. Gerne unterstütze ich Sie darin, Ihren geliebten Menschen fürsorglich zu begleiten, ohne sich selbst dabei zu vergessen.

Internet Links

Weitere Informationen finden Sie hier:

Wegweiser Demenz

AOK-Bundesverband GbR – Essen und bewegen
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. – Essen und Trinken bei Demenz