Mangelernährung in Schlaraffenland?

DSC0321833 Millionen Erwachsene sind europaweit vom Risiko einer krankheitsbedingten Mangelernährung betroffen. Allein in Deutschland sind es 1,5 Millionen Patienten. Auf der Länderkonferenz der European Nutrition Health Alliance (ENHA) am 3. und 4. November 2015 in Berlin treffen sich Verantwortliche im Gesundheitswesen mit Vertretern von Berufsverbänden, Fachgesellschaften und Patientenorganisationen aus 13 Ländern, um sich über die alarmierende Situation auszutauschen und geeignete Maßnahmen zu entwickeln.

Eine Vertreterin meines Berufsverbandes will dort für das Thema Mangelernährung sensibilisieren und eine bedarfsgerechte Ernährungsversorgung strukturell in allen Institutionen und im ambulanten Bereich implementieren.  Es geht um multidisziplinäre Teams und ein gutes Schnittstellen- und Entlassungsmanagement in Krankenhäusern und Kliniken sowie eine Stärkung der Ernährungsberatung/-therapie in diesen Kompetenzteams sowie eine adäquate Honorierung der Leistungen von Oecotrophologen/Ernährungswissenschaftlern.
Und es wird Zeit. Zeit, denn es geht um Menschenwohl!

Wohl für die monetären Resourcen des Gesundheitssystems: Wir wissen längst, dass eine kompetente Ernährungstherapie einen sehr hohen ROI (Return on invest) hat, sprich – hilft, mehr Folgekosten einzusparen, als dass sie kostet. PD Dr. K. Norman zitiert dazu eine aktuelle Metaanalyse, die besagt, dass allein die Gabe von Trinknahrung die Kosten pro Patient in den Kliniken um 12-15% senken könnte.

Wohl für professionelle Ernährungsfachkräfte: Und doch wird wieder und wieder der Nutzen von professioneller Ernährungstherapie in Frage gestellt und meine Kollegen und ich mehr denn je in die Ecke der „gesunde Ernährung-Prediger“ gestellt. Dabei haben wir nichts mit „gesunden“ Menschen zu tun, sondern stehen als Teil von interdisziplinären Teams, im Dienste kranker Menschen! Da ist kein Platz für Gesunde Ernährung-Predigten, da geht es um Ernährung als „Medikament“, also um das gesundheitliche

Wohl von Patienten: Und da sieht es alles andere als rosig aus. Gerade heute war ein Patient bei mir. Ein Mann mit Krebs, der auch Auswirkungen auf das Verdauungssystem hat, zusätzlich eine gestörte Glucosetoleranz aufweist und „fast gar nichts mehr isst“. Er ist regelmäßig bei drei Ärzten und in einer Klinik, doch bislang kam niemand auf die Idee, ihn zur Ernährungstherapie zu schicken. Im Gegenteil: Man schaut seelenruhig zu, wie sein Gewicht dramatisch in den Keller saust, er mehr als 10% seines Ursprungsgewichts verliert, sein Eiweißverlust ansteigt (Kachexie (!), was seine Sterblichkeit dramatisch steigert und hohe Klinikkosten billigend in Kauf nimmt. In einem bedenklichen Zustand wird er entlassen. Er geht regelmäßig zur Chemo, über seine Ernährungsprobleme redet niemand mit ihm. Erst auf persönliches Drängen, weil seine Frau mich kennt, kommt er zu mir zur Beratung. Nichts da von Schnittstellen- und Entlassungsmanagement, nichts da von Ernährungsteams und zu allem Übel rechnet ihm seine Krankenkasse noch vor, dass er nicht mehr als 1 Erst- und 4 Folgeberatungen a 30 Minuten anteilig bezuschusst bekommt und nicht häufiger zu mir kommen „darf“? Wie bitte? Was heißt hier „dürfen“? Wer soll es diesem Mann verbieten, Hilfe, die DA ist in Anpruch zu nehmen und was erlaubt sich ein Sachberarbeiter mit solch einer Aussage, die beim Patienten den Eindruck erweckt, er würde etwas „Verbotenes“ tun, was ihm u.U. schaden könnte?

„Unterlassene Hilfeleistung“ nenne ich das mittlerweile und sparen am falschen Ende, denn wenn ich ihn nicht professionell berate, so ist er morgen wieder in der Klinik, denn: Sooo schnell stirbt heute niemand mehr an Krebs, dass man unterstellen könnte, das System wolle „Kosten sparen“. Und was soll ich sagen: Die Beratungen bei mir dauerten 1 Erst und 4 Folgeberatungen, sprich 3 Zeitstunden und brachten ihm

> völlige Beschwerdefreiheit
> 3kg Gewichtszunahme in einem Monat
> Lust am Essen und neue Lebensfreude und
> seiner Frau eine große Sorge weniger, dass es
> auch mit Krebs möglich ist, Freude und Wohlsein am Tisch zu genießen.

So lange aber die Bedeutung einer professionellen Ernährungstherapie nicht in den Köpfen der Entscheidungsträger und Ärzteschaft angekommen ist und Ernährungstherapie verwechselt wird mit der „Verordnung einer Diät“, statt mit einer Patient zentrierten Beratungsleistung, die sowohl fachliches, medizinisches, pädagogisches, soziales und psychologisches Know-How erfordert, wird sich am Phänomen „Mangelernährung in Schlaraffenland“ nichts ändern und wir in der ambulanten Praxis und die Patienten selbst, letztlich das auszubaden haben, was einfach nicht gesehen werden will, getreu dem Motto: „Was nicht sein kann, das nicht sein darf“, (Christian Morgenstern).

  1. Ernährungsberatung (GESUNDE) ist nicht dasselbe, wie Ernährungstherapie (KRANKE)
  2. Ernährungstherapie ist kein Heilmittel, sondern eine ganzheitliche Beratungsdienstleistung in der nicht ein Heilmittel, sondern ein MENSCH und sein Wohl im Mittelpunkt steht.
  3. Ernährungstherapeuten sich durch höchste Fach-, Sach-, Methoden-, Sozial-, und Beraterkompetenz auszeichnen und nicht „Geld kosten“ sondern dem System helfen, sehr viel Geld zu SPAREN.

PS. Sollten Sie jemanden kennen, der nicht mehr isst, nicht mehr essen kann, nicht mehr alles verträgt, eine konsumierende Erkrankung hat, so zögern Sie nicht! Werden Sie selbst aktiv und setzen Sie sich für Ihr Recht auf Ernährungstherapie ein! Sie ist integraler Bestandteil professioneller, medizinischer Behandlung und steht Ihnen zu. Gerne empfehlen wir Ihnen Kollegen in Ihrer Nähe, die sich Ihnen und Ihren Liebsten gerne annehmen, damit Sie TROTZ schwerster Erkrankung morgen noch mit Freude essen.

prof.eat Ernährungstherapeuten verstehen etwas von Mangelernährung
> prof.eat Ernährungstherapeuten arbeiten nach neuesten medizinischen, ernährungswissenschaftlichen Leitlinien und Erkenntnissen
> prof.eat Ernährungstherapeuten stellen nicht eine Krankheit, eine allgemein Ernährung ins Zentrum, sondern SIE und Ihr Essen. Sie arbeiten so mit Ihnen, dass Sie sofort wissen, wo genau Sie bei Tisch und darüber hinaus etwas ändern können, sprich:
> prof.eat Ernährungstherapeuten verfügen über eine ernährungswissenschaftlich/medizinische, als auch eine pädagogisch/psychologische Qualifikation, die aus Ernährung mehr macht, als ein reines „Wissensgebiet“.
> prof.eat Ernährungstherapeuten verordnen Ihnen keine „Diäten“, sondern erarbeiten mit Ihnen gemeinsam Ihren je eigenen ESS-Weg, denn: Essen ist weitaus mehr, als sich zu ernähren. Stimmen Sie zu? Dann freuen wir uns darauf, Sie oder einen Ihrer Lieben ein Stück raus aus der Mangelernährung zu begleiten.

Ihre
Sonja Mannhardt

Kohlenhydrate – ein Grundschulthema?

Adipositasakademie-VerpflegungHeute ruft mich eine Mutter an, die gerne mit ihrer 9 jährigen Tochter zur Beratung kommen möchte. Sie fühle sich zu dick und fragte gestern ihren Kinderarzt nach einer Beratung. Sie habe das Gefühl, sie esse zu viel Kohlenhydrate, das hätten sie in der Schule im Unterricht gelernt.

Wie bitte? Kohlenhydrate ist ein Thema in der 3. Klasse? Was ist da passiert, dass sich 9-jährige Mädchen wegen ihrer Kohlenhydrataufnahme und ihres Gewichts ängstigen und selbstständig nach Beratung fragen?

Da stimmt es doch nicht mehr in diesem „Bildungsland“!

  1. Aussehen – Thema bei 9-jährigen?
    Handelt es sich um halbwegs gesunde Kinder, dann sind die 8-11 jährigen wohl die einzigen, die sich um ihr Aussehen und ihr Gewicht am wenigsten sorgen, denn rein entwicklungsphysiologisch ist es Kinder in diesem Alter wichtiger „dazu zu gehören“, als „schlank zu sein“, oder mit dem Essen „alles richtig“ zu machen. Also was passiert da in unserer Gesellschaft, wenn jetzt sogar 9-jährige anfangen, „ihr Aussehen“, „ihr Schlank sein“, „ihre Ernährung“ zu hinterfragen? Reicht es denn noch nicht, dass dieses Land immer mehr vergisst dass Menschen Lebensmittel essen und nicht sich mit bloßen Nährstoffen ernähren? Reicht es denn noch nicht, dass Kinder heutzutage zwar wissen, wie man Kohlenhydrate schreibt, aber keine Ahnung mehr haben, wie und wo eine Johannisbeere wächst, geschweige denn, wie sie schmeckt?
  2. Verdauung und Kohlenhydrate – Thema für 9-jährige?

Bild_Würstchen im BauchNicht erst seit gestern wissen wir, dass Kinder von 9 Jahren nur begreifen, was sie begreifen. Wir wissen, dass Kohlenhydrate „nicht begreifbar“ sind und ebenso wenig „Verdauungsvorgänge“.

Frage an Sie: Haben Sie Auto fahren gelernt, indem Sie den Motor ihres Wages verstanden haben, oder durch Handlungskompetenz? Wie würden Sie jemandem erklären, wie Verdauung funktioniert und was genau fangen Sie mit diesem Wissen an, wenn es um Ihre eigene Ernährung geht?

Wir wissen, dass weder „rationalism“, noch „nutrionalism“, sprich kognitive Wissensvermittlung in solch komplexen Geschehen, wie Essen es nunmal ist, wenig ausrichten kann und doch scheint es die „moderne Pädagogik“ besser zu wissen und setzt auf Wissen, statt auf Können.

Nur, was nützt dieses Wissen einem Kind von 9 Jahren, außer, dass die Verunsicherung zunimmt und jetzt auch noch Kindern von 9 Jahren die Lust und Freude am Essen ausgetrieben werden soll?

3. Freude am Essen – Essgenuss – Esskultur statt Nährstoffe und Verdauung

Ich kann mich noch gut erinnern an die Zeit, in der ich selbst noch Unterricht gab. Wir setzten auf Essen und Lebensmittel, nicht auf Ernährung. Wir lernten neue Lebensmittel kennen, wir lernten „verborgenes“ sichtbar zu machen, wir experimentierten, was man mit den Lebensmitteln alles machen kann, wir lernten „Verpackungsdetektive“ zu sein, wir erfuhren mehr darüber, wie Kinder im Schlaraffenland Kompetenzen entwickeln können, selbstbestimmt Essentscheidungen zu treffen und mit ihren Sinnen gut für sich zu sorgen.

Dazu brauchte es weder Prdigten über gesunde Ernährung, noch Informationen über Nährstoffe, noch Wissen um Verdauungsprozesse, sondern den Mut, die Kinder selbst lernen zu lassen, den Mut Praxis vor Theorie zu stellen, den Mut die Kinder und ihr eigenes ESSEN ins Zentrum zu rücken und nicht ein winziges und Lebenswelt fernes  Thema wie Ernährung und Verdauung, zumindest in der sensiblen Zeit der Grundschule, wo gottlob noch nicht alles auf rationales Lernen ausgerichtet sein muss.

Zumindest ich schaue gerne auf meine Erfahrungen mit den Kindern zurück. Und nie werde ich ihre strahlenden Gesichter vergessen, wenn wir gemeinsam etwas zubereitet haben, worauf wir zu Recht stolz sein durften.

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Ich würde mir wünschen, dass Kinder zumindest in der Grundschule noch Kinder sein dürfen und mit ihrer natürlichen Neugier und mit ihrer Freude am selbsttätigen Lernen an das Thema Essen im Schlaraffenland herangeführt werden.