Essstörungen tiefenpsychologisch – Sommerakademie

Buergeln„Ich habe das Gefühl, ich komme bei der Patientin keinen Schritt weiter. Sie sagt zwar, sie wolle etwas an ihrem Essverhalten ändern, doch je mehr wir daran arbeiten, je weniger tut sich etwas.“ Die junge, noch unerfahrene Kollegin ist ganz verzweifelt und gesteht ein, mit ihrem Beratungsansatz, der sehr an die Vernunft der Patienten appelliert, nichts auszurichten.

„Ich weiß doch alles über <gesunde Ernährung> und doch komme ich aus meinem Hamsterrad nicht heraus.  Mir aber zu erklären, was ich ohnehin schon weiß, ist sinn-, nutz- und zwecklos. Deshalb komme ich zu Ihnen.“ Das sind die Worte einer meiner Patientinnen, die bereits zahlreiche Unterstützung wegen ihrer Anorexie genossen hat. Und weitere Worte von Betroffenen finden Sie hier

Was aber macht den Unterschied zu anderen Unterstützern? Ich denke, es ist ein spezielles Einfühlungsvermögen, ein sehr intensives Verstehen dessen, was sich hinter „Essstörungen“ verbirgt. Dieses Verständnis fußt auf der Menschensicht Alfred Adlers, der wohl der Erste war, der die Psychosomatik begründete, also Menschen wieder ganzheitlich betrachtete. Der Mensch als soziales und Ziel orientiertes Wesen macht Alles, was er tut aus gutem Grund zu einem guten Zweck… Und das gilt einmal mehr für Menschen mit Essstörungen.

Betroffene und ihr Verhalten können nur verstanden werden, auf dem Hintergrund ihrer Geschichte, ihrer Vergangenheit, ihrer Familie, ihrer Geschwister, denn Menschen denken, handeln und fühlen ganzheitlich.

Sommerakademie 2015 – Tagesseminar 1. Essstörungen.
Zielgruppe: Ernährungstherapeuten und Betroffene/Angehörige

In unserer diesjährigen Sommerakademie wollen wir an einem Tag ein tieferes Verständnis für Menschen mit Essstörungen und gestörtem Essverhalten erwerben.

Vortrag: In einem Vortrag wollen wir mit Hilfe von tiefenpsychologischem und daseinsanalytischem Verständnis, das Phänomen „Essstörungen“ genauer betrachten und dabei auch eine Abgrenzung zur medizinischen Sicht vornehmen.

Weitere Highlights werden in diesem Jahr sein: Im Gespräch mit einer Betroffenen wollen wir neue Erkenntnisse gewinnen, im Umgang mit diesem Phänomen. Insbesondere Berater werden hier Do´s und Don´t erfahren. Weiterhin besteht die Möglichkeit einer „offenen“ Beratung beizuwohnen. Ich werde im Beisein von Teilnehmern eine echte Beratung durchführen und somit Kollegen die Möglichkeit geben, „über gängige Ernährungstellerränder“ hinwegzusehen.  Am Nachmittag wird es einen kleinen Workshop geben und ein Zeitfenster für Supervisionen angeboten.

Was uns besonders freut: Es ist eine Veranstaltung, an dem professionelle Ernährungstherapeuten (mit und ohne tiefenpsychologischen Hintergrund), Angehörige und Betroffene gleichermaßen willkommen sind.

Sie wollen ebenfalls über gängige Tellerränder hinwegblicken und erfahrenen Kollegen über die Schulter schauen?
Dann laden wir Sie ein, diesen Tag mit uns zu verbringen.

Termin: 5. August 2015
Ort: Schloss Bürgeln, Schliengen
Zeit: 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr

Preis für Frühanmelder: 98.- Euro. Nach dem 31.6. 145.- Euro

 

 

Seniorenernährung

DSC03221Die Wissenschaft sagt…

Bei vielen Senioren lassen die Ernährungsgewohnheiten zu wünschen übrig. Durch Verzehrserhebungen und biochemische Untersuchungen wurde ermittelt, dass Senioren zu selten hochmolekulare Kohlenhydrate, Ballaststoffe, ungesättigte Fettsäuren und pflanzliches Eiweiß essen und auch viele Vitamine und Mineralstoffe wie Calcium, Jod und Zink stünden bei Senioren zu selten auf dem Tisch. Hingegen sei die Energiezufuhr und der Fettanteil der Nahrung eindeutig zu hoch. Soweit das Allgemeine.

 

Aus der Praxis…

Während die Wissenschaft behauptet, dass der allgemeine Senior wohl zu viel an Energie zu sich nimmt, sieht es bei Regina S. anders aus. Seit Sie ihr Gebiss verloren hat, magert sie ab. Sie kann nicht richtig beißen und der Appetit auf „Breikost“ ist ihr auch vergangen. Ihr neues Gebiss bekommt sie in ungefähr 4 Wochen. Sie sagt: „Ein Glück habe ich ein paar Polster, auf die ich jetzt zurück greifen kann.“

Frau P. kommt mit ihrem Mann zur Beratung. Seit Kurzem hat er „eine Unverträglichkeit“ und sie vermutet ein „Reizdarmsyndrom“.  Bei genauer Anamnese stellt sich heraus, dass diese Senioren mitnichten zu wenig hochmolekulare Kohlenhydrate und Ballaststoffe essen, sondern zu viel! Seit Herr P. in Rente ist, möchte Frau P. es mit der gesunden Ernährung richtig gut machen und serviert Ihrem Mann und sich Frischkornbreie zum Frühstück, backt Vollkornbrote und trinkt viel Gemüse und Obstsäfte. Auf Fett verzichtet sie und sorgt somit unbewusst für eine schlechtere Verträglichkeit, dieser großen Mengen an Kohlenhydrate,  bei sich und ihrem Mann.

Anton ist dement. Seine Frau kocht so gut es geht, doch Anton „vergisst“, dass er gerade gegessen hat und hat „vergessen“, was Durst ist. Er trinkt so gut wie nichts, isst dafür umso mehr, besonders Käse ist seine Leidenschaft. Den holt er sich mehrere Male aus dem Kühlschrank, weiß davon aber hinterher nichts mehr. Stattdessen fragt seine Frau Helga viele Male täglich: „Wann gibt es endlich etwas zu essen. In diesem Haus verhungert man ja.“  Jegliche Appelle an die Vernunft verhallen und führen zu nichts. Ein Kalziummangel hat Anton nicht, dafür mehr und mehr Probleme mit dem Gewicht.

Ernährungsempfehlungen sind Empfehlungen spiegeln den Durchschnittsbedarf aller Senioren wieder und der Durchschnittsverzehr wird durch Durchschnittserhebungen ermittelt, doch diese drei Fälle zeigen, dass diese Empfehlungen mit dem tatsächlichen Verzehr des Einzelnen noch nichts zu tun haben müssen.

Den einzelnen Menschen ins Zentrum rücken

Auch wenn es verlockend ist, allgemeine Empfehlungen helfen nicht wirklich, das Ess- und Ernährungsverhalten des Einzelnen zu analysieren, zu diagnostizieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Pflegefachkräfte, Angehörige müssen trotz Kenntnis von Empfehlungen und allgemeinen Richtlinien, den einzelnen Senior im Blick behalten, denn Menschen essen nicht nach Vernunft-Regeln, sondern wie sie es wollen, vermögen, können und gewohnt sind. Darauf muss auch in der Pflege Rücksicht genommen werden, denn nur dann können wirklich nachhaltige, gangbare und passende Lösungen gefunden werden. Da vom individuellen Essen zur Deckung von individuellen oder gar allgemeinen Bedarfen ein weiter Weg ist, möchte ich an dieser Stelle Pflegefachkräfte ermutigen, dass sie darauf bestehen, mit dem Thema „Seniorenverpflegung“ nicht alleine gelassen zu werden. Um ein genaues  Ernährungs-Assessment, eine genau Ernährungsdiagnostik und damit einhergehende Interventionen durchzuführen, ist es erforderlich, eine spezialisierte Ernährungsfachkraft im Team zu haben, oder eine solche Fachkraft zu Rate zu ziehen, denn der Weg vom Wissen zum Tun ist ein weiter – für alle Beteiligten.

Denn wie wusste bereits der Verhaltensforscher Lorenz?

Gedacht heißt nicht immer gesagt,/ gesagt heißt nicht immer richtig gehört,/ gehört heißt nicht immer richtig verstanden,/ verstanden heißt nicht immer einverstanden,/ einverstanden heißt nicht immer angewendet,/ angewendet heißt noch lange nicht beibehalten.(K. Lorenz, östr. Verhaltensforscher und Nobelpreisträger)

Stellen wir folglich unseren je individuellen Senior ins Zentrum unserer Fürsorge, anstatt uns allzu sehr auf die Botschaften von allgemeinen Empfehlungen zu verlassen.